Narkosen beim Kleinsäuger

Risikopatient Kleinsäuger
Nagetiere und Kaninchen haben im Vergleich zu Hunden und Katzen ein deutlich erhöhtes Narkoserisiko. Dennoch sind operative Eingriffe oder auch diagnostische Maßnahmen in Narkose auch bei diesen Tierarten notwendig. Eine an Kleinsäuger angepasste Anästhesie kann dabei helfen, Risiken und Todesfälle im Zusammenhang mit einer Narkose zu minimieren.
 

Vorbereitung auf die Narkose

Futteraufnahme
Kaninchen und Nagetiere müssen vor einer Narkose nicht gefastet werden, da sie nicht erbrechen können. Ein Nahrungsentzug kann sich negativ auf den Verdauungstrakt und die Stoffwechsellage dieser Tiere auswirken und sollte daher unbedingt vermieden werden. Bieten Sie Ihrem Tier bis zum Narkosetermin gewohntes Futter und Wasser zur freien Verfügung an. Bei längerer Anfahrt zu Ihrer Tierarztpraxis sollten auch Futter und Wasser in der Transportbox vorhanden sein. Es ist sinnvoll, eine ausreichende Menge des gewohnten Futters für die Dauer des geplanten stationären Aufenthaltes mitzubringen, da eine abrupte Futterumstellung den sensiblen Darmtrakt der Tiere schädigen kann. Beliebtes Futter regt die Tiere nach dem operativen Eingriff mitunter auch zu einer zügigen selbstständigen Nahrungsaufnahme an.

Nicht-fressende Tiere sollten mit einer für die entsprechende Tierart geeigneten Breinahrung per Spritze zugefüttert werden.

Stressminimierung
Die Gesellschaft eines Partnertiers kann den Patienten vor einer Operation beruhigen und ihn nach dem Eingriff unterstützen. Daher sollte ein Partnertier zum Narkosetermin mitgebracht werden. Bei Tieren in Gruppenverbänden, wie z.B. Degus oder Rennmäusen, kann die Trennung einzelner Tiere von der Gruppe zu starken Spannungen bis hin zu Beißereien führen. Bringen Sie stets alle Rennmäuse oder Degus, die zusammengehalten werden, zu Ihrem Termin mit.

Eine frühzeitige Abgabe Ihres Tieres in der behandelnden Praxis oder Klinik (früh morgens oder, idealerweise, am Tag vor dem geplanten Eingriff) ist sinnvoll. Dies gibt Ihrem Tier die nötige Zeit, sich in der fremden Umgebung einzugewöhnen und Stress vor der Narkose abzubauen. Die Unterbringung sollte getrennt von Hunden und Katzen erfolgen.

Gründliche Voruntersuchung
Jedes Kaninchen oder Nagetier muss vor einer Narkose gründlich allgemein untersucht und die Narkosefähigkeit beurteilt werden, denn viele Erkrankungen werden von diesen Beutetieren erfolgreich verborgen. Nur so können mögliche Krankheitszustände (z.B. Erkrankungen der Atemwege oder des Magen-Darm-Traktes), die eine Narkose negativ beeinflussen können, erkannt werden. Ggf. können auch weitere Untersuchungen wie Röntgenbilder oder Blutuntersuchungen vor einem geplanten Eingriff sinnvoll sein.

Schmerzausschaltung
Sowohl prä-, intra- als auch postoperativ kommt der Schmerzausschaltung eine besonders wichtige Rolle zu. Schon vor dem Beginn des schmerzhaften Eingriffes (präemptiv) sollte auf eine ausreichende Schmerzabdeckung geachtet werden und diese lückenlos bis in die Heilungsphase fortgesetzt werden. Schmerzmittel sind ein wichtiger Bestandteil der Narkose und dienen nicht nur der Schmerzausschaltung, sondern ermöglichen durch ihren narkosemittelsparenden Effekt die Durchführung einer deutlich kreislaufschonenderen Narkose.


Während der Narkose

Narkosemittel
Für Kleinsäuger stehen diverse, geeignete Narkosemittel zur Verfügung. Welche bei Ihrem Tier zum Einsatz kommen, hängt vom Patienten und von dem geplanten Eingriff ab. Grundsätzlich sollte jede Narkose individuell auf das jeweilige Tier abgestimmt werden. Unter anderem kommt bei Nagetieren und Kaninchen die teil- oder vollständig antagonisierbare (aufhebbare) Narkose zum Einsatz. Diese hat den Vorteil, dass ihre Wirkung schnell und vollständig aufgehoben werden kann. Dadurch ist sie besonders sicher und die Tiere haben eine sehr kurze Erholungsphase. Nach der Narkoseeinleitung mittels Spritze kann bei Bedarf die Anästhesie über eine Gasnarkose mit Isofluran verlängert und vertieft werden. Die Kombination mit Lokalanästhetika ist eine weitere wichtige Möglichkeit, um eine effektive Schmerzlinderung während und nach dem Eingriff zu gewährleisten. Lokalanästhetika blockieren gezielt die Schmerzübertragung in den Nerven und können sowohl vor als auch während der Operation angewendet werden. Dies reduziert nicht nur den intraoperativen Stress und Schmerz für das Tier, sondern minimiert auch die benötigte Menge an systemischen Narkosemitteln. Dadurch wird die Belastung des Tieres weiter verringert, was besonders bei empfindlichen Kleinsäugern von Vorteil ist.

Narkosemanagement
Narkosepatienten brauchen während der Narkose eine intensive Betreuung. Zur Verabreichung von Medikamenten und Infusionen wird Kaninchen und Nagetieren (wenn dies aufgrund der Körpergröße möglich ist) ein Katheter in eine Vene gelegt. Kaninchen können endotracheal intubiert werden, oder es kann eine Larynxmaske zum Einsatz kommen. Dadurch ist eine manuelle Beatmung dieser besonders sensiblen Narkosepatienten im Ernstfall möglich. Alle anästhesierten Tiere, intubiert oder nicht, brauchen während der Narkose eine konstante Sauerstoffzufuhr. Weiterhin werden sie auf einer Wärmematte gelagert, um ein Auskühlen zu vermeiden. Herz- und Atemfrequenz sowie die Sauerstoffsättigung sollten konstant überwacht und protokolliert werden.


Nach der Narkose

Auch unmittelbar nach einer Narkose besteht ein erhöhtes Risiko für Komplikationen. Eine kontinuierliche Überwachung ist daher gerade während der Aufwachphase sehr wichtig. Nach Beendigung der Narkose sollten, wenn möglich, die eingesetzten Anästhetika antagonisiert und das Tier an einen warmen, ruhigen Ort verbracht werden. Erfahrungsgemäß dauert es einige Zeit, bis der Patient seine Körpertemperatur von alleine halten kann. In dieser Zeit muss das Tier mittels Wärmekissen und -matten gewärmt und die Körpertemperatur regelmäßig kontrolliert werden. Sobald der Patient wach und ansprechbar ist und gut schlucken kann, sollte die vorsichtige Handfütterung fortgesetzt bzw. begonnen werden.

Eine Entlassung ist erst möglich, wenn der Kreislauf stabil ist, d.h. sobald der Patient steh- und gehfähig ist, sich füttern lässt und eigenständig (ohne externe Wärmezufuhr) seine Körpertemperatur halten kann.

Da operative Eingriffe zu Schmerzzuständen führen, ist eine ausreichende postoperative Schmerzausschaltung ausschlaggebend für den Behandlungserfolg. Eine gute Schmerzausschaltung wirkt sich unter anderem positiv auf die selbstständige Futteraufnahme und damit auch auf den Magen-Darm-Trakt aus und es kommt seltener zu Automutilationen (Benagen der Wunde).

© M. Thöle, S. Köstlinger, Y. Eckert