Entstehung von Zahnproblemen / Ursachen

Erwachsene Kaninchen haben ein Gebiss mit 28 Zähnen, von denen jedoch nur die Schneidezähne gut einsehbar sind. Alle Zähne des Kaninchens wachsen lebenslang, wobei die Schneidezähne etwas schneller wachsen als die Backenzähne. Jeder einzelne Zahn wächst in einer Woche beeindruckende 2 bis 3 mm. Normalerweise wird genau so viel Zahnsubstanz gebildet, wie beim Kauen abgerieben wird. Gerät dieses Gleichgewicht durcheinander, entstehen Zahnprobleme. Mögliche Ursachen sind hierbei genetische Veranlagung, falsche Fütterung, angeborene Zahnfehlstellungen, Unfälle und Verletzungen, Infektionen, Knochenerkrankungen, Tumore und allgemeine Krankheiten, die mit einer reduzierten Futteraufnahme einhergehen.

Orale Überlängen entstehen durch die mangelnde Abnutzung. Die Zähne treffen nicht mehr wie gewohnt aufeinander, wodurch sie wiederum auch nicht mehr richtig abgenutzt werden können. Hierdurch entsteht ein Teufelskreis mit erhöhtem Druck und stärkerer Belastung der Zähne. Dieser Prozess schreitet kontinuierlich voran. Es kommt zu einer Verbiegung, Kippung oder Spaltung der Zähne, einer Lockerung im Zahnfach, wodurch Keime aus der Maulhöhle in diesen Bereich eindringen können, sowie einer Verlängerung der Zähne im Kieferknochen, da dieser dem Druck nachgibt. Am Ende entsteht eine Entzündung im Wachstumsbereich der Zähne (bei Menschen wäre dies der Wurzelbereich, Kaninchen haben jedoch sogenannte wurzeloffene Zähne). Diese Entzündung führt zu deformierten Zähnen, einer veränderten Zahnsubstanz und Zahnabszessen. Eine Zahnbehandlung kann die einmal entstandenen Veränderungen nicht rückgängig machen, sondern den Prozess nur verlangsamen oder im besten Falle stoppen.

Röntgen- und CT-Diagnostik
Bildgebende Diagnostik ist bei Zahnerkrankungen unverzichtbar, um eine korrekte Diagnose stellen zu können und das Ausmaß der Veränderungen, die möglichen therapeutischen Schritte sowie die Chancen auf Heilung abzuschätzen. Es stehen verschiedene Methoden der bildgebenden Diagnostik zur Verfügung. Welche hiervon für Ihr Tier am sinnvollsten ist oder ob Methoden kombiniert werden müssen, ist abhängig vom jeweiligen Fall und wird individuell entschieden.

Für eine erste Einschätzung eignen sich Standard-Röntgenaufnahmen des Kopfes, welche mit einem herkömmlichen Röntgengerät angefertigt werden. Auf den Übersichtsaufnahmen können die Referenzlinien nach Böhmer und Crossley eingezeichnet werden, die weitere Anhaltspunkte zu den Veränderungen sowie der Beziehung der Zähne zueinander geben. Aufgrund von Einschränkungen in der Beurteilungsmöglichkeit, können diese Bilder in der Regel nur Anhaltspunkte liefern. Eine genauere Möglichkeit der bildgebenden Diagnostik bei Zahn- und Kiefererkrankungen stellt die Computertomographie (CT) des Kopfes dar, die durch rotierende Röntgenstrahlen Schichtbilder des Kopfes erstellt. Auf diese Weise können alle Strukturen des Kopfes ohne störende Überlagerungen dargestellt und beurteilt werden. Neben der CT kann auch eine digitale Volumentomographie (DVT) beim Kaninchen zum Einsatz kommen. Diese DVT (auch Cone-Beam-Computertomographie (CBCT) genannt) eignet sich sehr gut, um insbesondere geringfügige und beginnende Zahnveränderungen detailliert aufzuzeigen. In der Regel können CT- (und DVT-) Aufnahmen des Kopfes am wachen Kaninchen durchgeführt werden. Gelegentlich kann aber auch eine Sedierung oder Narkose nötig werden. Darüber hinaus ist auch die Anfertigung von intraoralen Röntgenbildern mittels eines Zahnröntgengerätes möglich. Mit dieser Methode können Einzelzähne in einer höheren Detailgenauigkeit dargestellt werden. Für die meisten Röntgenaufnahmen des Kopfes ist eine Narkose des Tieres notwendig.

Zahnextraktion und Abszess-Sanierung
Für alle Zahnbehandlungen sind eine Narkose und ein gutes Schmerzmanagement Grundvoraussetzung. Bei Kaninchen wird darüber hinaus viel Wert auf ein angepasstes Narkosemanagement gelegt (vorherige Stabilisierung, Zufüttern, Wärmzufuhr, Narkoseüberwachung).

Bei leichteren Abweichungen des Gebisses kann eine sogenannte Okklusionskorrektur durchgeführt werden. Okklusion beschreibt das Aufeinandertreffen der Zähne von Ober- und Unterkiefer. Bei einer Okklusionskorrektur werden die Zähne mittels rotierender Instrumente eingeschliffen. Bei leichten Veränderungen ist die Wiederherstellung der normalen Okklusion möglich. Aufgrund des veränderten Zahnwachstums wird eine regelmäßige Kontrolle der Zähne von oral und ggf. eine Wiederholung der Okklusionstherapie nach einer bestimmten Zeit notwendig werden. Bei bestehender Formveränderung der Zähne ist dies nicht mehr möglich. Je nach Fall kann eine Okklusionskorrektur jedoch auch bei fortgeschrittenen Problemen Druck und Schmerz reduzieren und dabei helfen, den aktuellen Zustand des Gebisses stabil zu halten.

Sind Zähne gespalten, locker, stark fehlgestellt oder entzündet, müssen sie entfernt (= extrahiert) werden. Wichtig sin hierbei die möglichst schonende Lockerung und Entfernung der Zähne sowie eine Röntgenkontrolle nach der Operation. Ob die Zahnextraktion von der Maulhöhle aus oder über einen Zugang von außen erfolgt, hängt vom individuellen Fall ab. Tiere, denen Zähne gezogen werden mussten, bleiben ihr Leben lang Zahnpatienten und müssen regelmäßig in der Tierarztpraxis vorgestellt werden. Entscheidend ist jedoch, dass die Tiere durch die Entfernung schmerzfrei werden.

Hat sich bereits ein Zahnabszess gebildet, müssen alle am Entzündungsgeschehen beteiligten Zähne extrahiert werden. Darüber hinaus muss der gesamte Abszess inklusive der Abszesskapsel chirurgisch entfernt werden (wie ein Tumor). Eine Spaltung von Zahnabszessen ist nicht ausreichend. Ein Teil der entfernten Kapsel sollte zur bakteriologischen Untersuchung in ein Speziallabor geschickt werden und sowohl auf aerobe (mit Sauerstoff wachsende) und anaerobe (ohne Sauerstoff wachsende) Bakterien untersucht werden. Nach der vollständigen Entfernung aller Abszessanteile bleibt die Wunde in den meisten Fällen nach außen offen. Eine Abszessbehandlung ist sehr anspruchsvoll und erfordert eine intensive und zeitaufwändige Nachsorge. Die Wundbehandlung erfolgt hierbei individuell angepasst an den einzelnen Patienten und kann z.B. offen oder temporär geschlossen erfolgen. Auch Abszesskaninchen bleiben lebenslange Zahnpatienten und es kann auch noch einige Zeit nach der Operation zu Rückfällen kommen.

Worauf sonst noch achten?
Um Zahnerkrankungen vorzubeugen, ist es besonders wichtig, von Anfang an auf die richtige Ernährung seines Kaninchens zu achten. „Wiese“ entspricht der natürlichen Ernährung von Kaninchen. Steht diese nicht zur Verfügung, stellt blättriges Grün (Salate, frische Kräuter, Gemüsegrün wie z.B. Kohlrabiblätter und Möhrengrün) eine geeignete Alternative dar. Als Ergänzung sollte Heu zur Verfügung stehen.

Um Zahn- und andere Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, sollte zu Hause ein kleiner wöchentlicher Gesundheits-Check durchgeführt werden. Hierzu gehören das aktuelle Gewicht, ein Blick auf die Genitalregion mit eventuellen Verschmutzungen durch Kot, Harn oder Blut, ein Abtasten des Körpers und im Hinblick auf die Zahngesundheit ein Abtasten des Kiefers sowie ein Blick auf die Schneidezähne. Die Schneidezähne sollten glatt und gerade sein, die Länge der Oberkiefer- und Unterkiefer-Schneidezähne sollte ungefähr gleich lang sein. Beim seitlichen Blick in das Mäulchen sollten die Unterkieferschneidezähne direkt hinter den großen Oberkieferschneidezähnen stehen und diese nicht berühren. Warnzeichen für Zahnprobleme können vielfältig sein, z.B. Sabbern, Zähneknirschen, langsames oder merkwürdiges Kauen, Augen- oder Nasenausfluss, Bevorzugung oder Meidung bestimmter Futtersorten, übermäßiges Trinken, Lecken an Näpfen oder anderen Gegenständen, Verdauungsprobleme, Gewichtsverlust oder Schwellungen im Kopfbereich. Tritt eines dieser Symptome auf oder verweigert das Kaninchen die Nahrungsaufnahme, sollte schnell eine Tierarztpraxis aufgesucht werden.

© B. Schuhmann, S. Köstlinger, Y. Eckert